Wie schaffen es neue Herrschaften, nach Umbrüchen Fuß zu schaffen? Wie generieren Sie Akzeptanz und was lassen sich das die bisherigen Eliten kosten? Frage wie diese stellt das Forschungsprojekt an vier verschiedene Grenzregionen Lateineuropas.

Die spätmittelalterlichen Gesellschaften Europas waren durch mehrere mono- und polytheistische (Ostseeraum) Religionen sowie unterschiedliche politische und soziale Organisationsformen geprägt. Ziel des Projektes ist eine vergleichende Analyse von Aushandlungsprozessen neuer Herrschaften in Grenzbereichen des lateinisch-römisch dominierten Europa. Dieses 'Lateineuropa' wird als heterogenes Gebilde verstanden, an dessen Rändern sich unterschiedlich organisierte Gesellschaften überschneiden. Das Forschungsdesign orientiert sich am Konzept der histoire croisée (Werner/ Zimmermann 2002) um adäquate synchrone und diachrone Vergleichsmaßstäbe zu ermöglichen. Der Analysebegriff 'Herrschaft' wird nicht im Sinne Webers, sondern als kommunikative, diskursive Praxis innerhalb eines Feldes definiert. Dieses Feld, in dem konkrete Akteure agieren, wird durch übergreifende Makrostrukturen beeinflusst. Der Fokus liegt nicht auf der Figur des/der Herrschenden, sondern auf den zu 'beherrschenden' Personenkreisen und den Wechselwirkungen zwischen ihnen. Herrschaft innerhalb eines solchen Feldes erfolgt in kommunikativer Nähe und Ferne stets mittelbar. Diesem Feld wird sich mit der analytischen Begriffstrias Mediation - Mediatoren - Mediatisierung angenähert: Mediation von Herrschaft meint dabei konkrete Momente der Herrschaftsausübung innerhalb von Akteurstriaden. Hier stehen die Mediatoren - womit sowohl 'Mittler' als auch 'Mittelbarmacher' gemeint sein können - im Vordergrund. Anstatt des Modernisierungsparadigmas soll die 'Mediatisierung' von Herrschaft im Sinne wachsender Mittelbarkeit im Fokus stehen, um den Spezifika der Grenzbereiche Rechnung zu tragen. In jeder der vier Fallstudien werden Gebiete betrachtet, die im Untersuchungszeitraum an neue (Ober-)Herrschaften übergehen. Hierbei wird die These zugrunde gelegt, dass transitive Phasen besonders geeignet sind, um mediative Prozesse von Herrschaftsausübung zu analysieren, da es hier zu einer verstärkten Aushandlung zwischen alten und neuen Akteursgruppen kommt. In den Fallstudien wird jeweils ein Grenzbereich Lateineuropas untersucht. Fallstudie I betrachtet Norwegen in der ersten Phase der Kalmarer Union, Fallstudie II die Transformation herrschaftlicher Strukturen in Rotreußen nach dem Übergang an das polnische Königreich. Die 3. Fallstudie analysiert die Errichtung der Anjouherrschaft in Süditalien aus der Perspektive des italienischen und des einwandernden französischen Adels. In der vierten Fallstudie wird auf die Rekonfigurationen des städtischen und regionalen Gefüges im Königreich Valencia vor und nach der christlichen Eroberung geblickt. Durch den gewählten Ansatz wird nicht nur eine erhöhte Tiefenschärfe für Kommunikations- und Interaktionsprozesse spätmittelalterlicher Herrschaftsausübung angestrebt, sondern auch eine wissenschaftlich-historische Binnendifferenzierung Lateineuropas. Die aktuellen politischen Krisen im Euromediterraneum unterstreichen die hohe Relevanz einer solchen Perspektive.

Projektmitarbeitende:

Dr. des. Sven Jaros (Projektkoordinator, Teilstudie: Kronruthenien)

Dr. des Marie Ulrike Jaros (Teilstudie Sizilien)

Dr. Eric Böhme (Universität Konstanz, Teilstudie Valencia)

Dr. Stefan Magnussen (Teilstudie Norwegen)

Korrespondierender Projektmitarbeiter:

Robert Friedrich M. Ed. (Universität Greifswald)

Hilfskräfte:

Sarah Jacob M.A.

Maximilian Schwarzkopf B. A.

Sebastian Gensicke M. A.

Publikationen

Publikationen:

in Vorbereitung bzw. im Druck:

Böhme, Eric / Jaros, Marie-Ulrike / Jaros, Sven / Magnussen, Stefan: Mediation von Herrschaft an den Grenzen Lateineuropas im Spätmittelalter. Eine Studie zu Herrschaftswechseln als Räume politischer Aushandlung in den Königreichen València, Sizilien, Polen und Norwegen

Jaros, Marie: „Der entschieden schwierigere Teil“. Widerstand und Integration im Königreich Sizilien nach der Eroberung durch Karl I. von Anjou; Beitrag auf der Tagung „Beharrung und Innovation in Süditalien unter den frühen angiovinischen Herrschern im 13. und 14. Jahrhundert / Persistenza e innovazione nell’Italia meridionale sotto le dinastie angioine del Duecento e del Trecento“, Trier, Nov. 2018.

Jaros, Sven: Iterationen im Grenzraum. Akteure und Felder multikonfessioneller Herrschaftsaushandlung in Kronruthenien (1340–1434). (Erscheint in der Reihe "Europa im Mittelalter")

Jaros, Sven: Against Tatari, Rutheni et Litfani, hostes fidei. Role and ambivalence of the ‘crusading idea’ concerning the Polish integration of Ruthenia in the 2nd half of the 14th century, in: Crusading and the Crusader Movement in the Peripheries of the Christian West 1100–1500, Internationale Tagung, 5.–7.10.2017, hg. v. Norbert Kersken u. Paul Srodecki.

Jaros, Sven: Von Kreva bis Lublin. Stadien, Akteure und Kontexte der polnisch-litauischen Union im Spiegel ausgewählter Dokumente (14. bis 16. Jh.), in: Briefe – Urkunden – Verträge. Quellen zur Geschichte der ‚internationalen‘ Beziehungen zwischen politischen Zentren in Europa und der Mittelmeerwelt. 15. internationaler Kongress zur Diplomatik, 4.–6.10.2019, hg. v. Wolfgang Huschner u. a.

Magnussen, Stefan: Periphery as a Center for Noble Policy. The Case of the Earls of Orkney from the Sinclair Clan (1379–1470/72).

Magnussen, Stefan (gemeinsam mit Ian Peter Grohse, Tromsø): The confirmation of Earl William of Orkney in 1434 and its interregional context

publiziert

Jaros, Sven: Between East and West. Crown Ruthenia between the Golden Horde and the rising power of the Polish Kingdom, in: Rus’ and the world of the Nomads (the second half of the 9th – 16th c.), hg. v. Vitaliy Nagirnyy (Colloquia Russica. Series I, 7), Kraków 2017, S. 281–290.