Projektarchiv
Vergangene Forschungsprojekte
Die Universität Leipzig ist ein wichtiges Zentrum für innovative Forschung in den Bereichen der Globalisierung und der transregionalen Forschung. Das Institut für Sozial- und Kulturanthropologie trägt mit einer Reihe von Forschungsprojekten dazu bei. Hier finden Sie abgeschlossene Projekte.
Abgeschlossene Forschungsprojekte
Digitale Verwaltung und Neuverräumlichung des indischen Nationalstaates
Das Teilprojekt untersucht die Rolle von Raumentrepreneur_innen für die räumlichen Folgen des Aufbaus einer digitalen Verwaltungsstruktur in Indien. Im Vergleich der drei Perspektiven auf Planung, Umsetzung und Aneignung digitalisierter Verwaltung beschreibt das Teilprojekt systematisch den Wandel des Raumformats Nationalstaat und schafft damit ein theoretisches Verständnis der bisher wenig untersuchten Verräumlichungseffekte gegenwärtiger digitaler Infrastrukturprojekte.
- Mittelgeber:
DFG (Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs "Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen") - Laufzeit:
2020 – 2023 - Projektleitung:
Ursula Rao
Die Rekonfigurierung von mentaler Gesundheit im Kontext von Digitalisierung
Mental Health- und Psy-Diskurse migrieren zunehmend in das digitale Medium. Obwohl die Digitalisierung als Teil neoliberaler Psychopolitik für die (Selbst-)Sorge und die Bewältigung mentaler Schwierigkeiten immer wichtiger wird, existiert bislang nur wenig medizinanthropologische Forschung darüber. Das Projekt untersucht die Rekonfigurierung von Gesundheit und (Selbst-)Sorge unter digitalen Bedingungen. Im Zentrum der Untersuchung stehen neue digitale Technologien bei der Bewältigung mentaler Schwierigkeiten und die diskursive Konstruktionen von gesundheitsbezogenen Auswirkungen digitaler Lebenswelten auf (psychische) Gesundheit und Wohlergehen. Welche Effekte hat der Rückgriff auf neue Technologien auf die Art und Weise, wie Menschen ihren Alltag heute gestalten und mentalen Herausforderungen begegnen? Welche neuen Mensch-Technik-Beziehungen entstehen? Welche visionären ethischen und politischen Projekte bilden sich heraus und welche dystopischen Erzählungen prägen lokale Erfahrungswelten und führen zu politischem Handeln?
- Mittelgeber:
DFG - Laufzeit:
2019 – 2024 - Projektleitung:
Claudia Lang
Infrastrukturbau und die Gestaltung von Asien durch Anpassen, Vereinheitlichen und Kooperieren
Investition im Bereich des Infrastrukturbaus spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der aktuell sich ereignenden Transformationen in Asien. Diese Themenlinie der Shaping Asia Netzwerk-Initiative erforscht, wie neue Infrastrukturprojekte Gesellschaft gestalten. Es geht dabei um die rekursiven Prozesse, durch die sich Asien, Nationalkontexte in Asien und Lokalität aufeinander bezogen verändern. Unser Vorgehen ist komparativ und betrachtet sowohl Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen asiatischen Ländern, als auch deren gegenseitige Beeinflussung. Als Ausgangspunkt für den Vergleich dienen die drei Prozesse der Anpassung, Vereinheitlichung und Kooperation. Die drei Arbeitsthemen (Focus Areas) beschäftigen sich mit den Fragen (1) wie neue digitale Verwaltungssysteme an lokale Verhältnisse angepasst werden, (2) welche vereinheitlichenden Impulse von global zum Einsatz kommenden Technologien zum Schutze gefährdeter Küsten ausgehen und (3) welchen Charakter die internationale Zusammenarbeit hat, die dem Bau von Mobilitätsinfrastruktur in Grenzgebieten gestaltet. Die beteiligten Wissenschaftler*innen sind ausgewiesene Expert*innen in den drei Feldern. In diesem Projekt entwickeln sie innovative Methoden des Vergleichs von in unterschiedlichen asiatischen Ländern angesiedelten Fallstudien. Ziel ist ein Verständnis für die Auswirkungen des Infrastrukturbaus auf politische Kulturen und trans-regionale Verbindungen. Im Austausch mit anderen Mitgliedern der Shaping Asia Netzwerk-Initiative und weiteren internationalen Asienexperten, entwickelt dieses Projekt ein Verständnis für den Prozess, durch den die Zukunft Asiens gestaltet wird.
- Mittelgeber:
DFG (Teilprojekt des Netzwerks "Shaping Asia. Connectivities, Comparisons, Collaborations") - Laufzeit:
2020 – 2022 - Projektleitung:
Ursula Rao
Umgang mit der gewaltsamen Vergangenheit in Somalia: Forensisch-anthropologische Interventionen in Somaliland und ihre Auswirkungen über den lokalen Kontext hinaus
Diese Forschung konzentriert sich auf jüngste Initiativen zur Ausgrabung von Massengräbern in der international nicht anerkannten Republik Somaliland (Nordwest-Somalia). Es wird untersucht, wie die Menschen vor Ort forensische anthropologische Interventionen verstehen und darauf reagieren, wie diese Interventionen stattfinden und welche Interessen dabei eine Rolle spielen. Das Projekt versteht die forensisch-anthropologische Arbeit als Teil eines „globalen Systems der Rechenschaftspflicht“ (global accountability regime), welches die Aufarbeitung vergangener Gräueltaten befördert. Eine wichtige Forschungsfrage ist, wie sich das von forensischen Anthropologen vorgebrachte und von internationalen Menschenrechtsanwälten unterstützte Verständnis von Wahrheit und Rechenschaftspflicht auf ein lokales Verständnis von („angemessenem“ / „gutem“) Tod und Gerechtigkeit bezieht (oder diesem widerspricht). Außerdem befasst sich das Projekt auch mit den praktischen Fragen: Was kann aus den laufenden forensischen Interventionen in Somaliland für Somalia generell in Bezug auf den Umgang mit der gewaltsamen Vergangenheit gelernt werden? Welche Bedeutung hat die forensische Anthropologie allgemein für (Post-) Konfliktsituationen im globalen Süden und insbesondere für sunnitisch-muslimische Kontexte?
- Mittelgeber:
2019 – 2020: London School of Economics and Political Science (LSE) mittels Conflict Research Fellowship Programms
2015 – 2018: Daimler und Benz Stiftung (Projekt: 32-06/14) - Laufzeit:
2015 – 2020 - Projektleitung:
Markus Höhne
Abgeschlossene Habilitationen
Unser Institut bietet die Möglichkeit, sich in Sozial- und Kulturanthropologie zu habilitieren. Die vergangenen Post-Doc Projekte vereint ein spezifisches Interesse an aktuellen Themen und zukunftsorientierter Planung.
Abgeschlossene Habilitationsprojekte
Lasst uns Entrepreneure schaffen! Startup-Welten im urbanen Sudan (der 2010er Jahre)
Wie wird der „Entrepreneur“ in einem Land mit enormen wirtschaftlichen Herausforderungen hervorgebracht und bejubelt? Was erzeugt dieses Zelebrieren des Entrepreneurs über das Gründen von Unternehmen hinaus? Das Buchprojekt begleitet Lesende in eine Zeit im Sudan vor der Revolution und dem Krieg - als eine Gruppe von Hochschulabsolvent:innen, Unternehmern und Entwicklungshelfer:innen begann, eine nationale Startup-Bewegung aufzubauen. Es dokumentiert die Entstehung einer unternehmerischen Fernsehshow, Training Programmen und Co-Working-Hubs in der Hauptstadt Khartum, und porträtiert junge Menschen, die den Weg des Unternehmertums einschlugen und wieder verließen.
Auf Basis einer elfmonatigen Feldforschung zeigt das Buch, wie diese pulsierende neue Startup-Welt weder Arbeitsplätze noch Wirtschaftswachstum geschaffen hat, aber es der städtischen, arbeitssuchenden Jugend ermöglichte, mit Unternehmertum als Möglichkeit zu leben, und auf neue Weisen zu fantasieren und zu experimentieren. Neue Arenen des unternehmerischen Engagements schufen in der Zeit wertvolle Räume, sich in Berufen zu imaginieren, neue Formen der Gemeinschaft zu entwickeln, Sozialkritik zu üben, Vertrauen in die eigene Generation zu schöpfen und neue Experimentierfelder für eine bessere Zukunft zu erschließen.
Ansprechpartnerin: Stefanie Mauksch
Abgeschlossene Promotionen
An unserem Institut ermöglichen wir jungen Forscherinnern und Forschern eine umfassend betreute Promotion. Die Forschungsprojekte beschäftigen sich mit aktuellen Themen in unterschiedlichsten Regionen, vornehmlich in Südasien, Afrika, Europa, aber auch Lateinamerika und Australien.
Kürzlich abgeschlossene Dissertationen
Essen und Schmecken in den Anden: Körper, Person und kultureller Wandel
In Peru, wie in vielen Regionen, leben Menschen ihre eigenen Küchen. Sie bewahren kulinarische Traditionen und erfinden neue, führen Rezepte ein und übernehmen fremde Nahrungsmittel. Dieses Projekt untersucht die andine Küche, die wie die Küchen vieler postkolonialer Gesellschaften, lange innerhalb des Landes stigmatisiert wurde. Antje Baecker hat eine umfangreiche Feldforschung im Colca-Tal in den südlichen peruanischen Anden durchgeführt und dort alltägliche, festliche und rituelle Mahlzeiten beobachtet. Sie untersucht die Beziehung zwischen Essen, Schmecken, Konzeptionen des Körpers und des kulturellen Wandels auf theoretischer Ebene. Zentrale Fragen des Promotionsprojekts sind: Wie ist die Identität der lokalen Bewohner mit ihren Ernährungsgewohnheiten verwoben? Wie stehen Konzeptionen von Nahrung und Geschmack im Zusammenhang mit dem Verständnis von Person, dem individuellen und dem kollektiven Körper? Welche Rolle spielen Geschmack und Schmecken in normativen Bewertungen über Bewahrung und Veränderung kulinarischer Traditionen? Welche Konflikte entstehen in diesem Prozess und wie werden diese ausgehandelt? Die Studie leistet einen Beitrag zu Debatten über kulturelle Aneignung und zur Anthropologie des Essens und der Sinne.
- Doktorandin: Antje Baecker
- Betreuerin: Ursula Rao
Care-Arbeit, Zukunftsangst und Chancen für junge Geflüchtete in Deutschland
Dieses Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Sozialarbeiter in der Jugendhilfe unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreuen und für sie sorgen. Es untersucht die Konsequenzen eines emotionalen Framings dieser Menschen als junge, verletzbare und schützenswerte Personen und fragt, wie die komplexen emotionalen und psychischen Folgen von Migration und Leben in Deutschland durch Kategorien wie „UMF“ (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) oder „Trauma“ begreifbar gemacht werden. Zudem beschäftigt es sich mit den Fantasien und Sehnsüchten junger Menschen in Bezug auf ihre Zukunft. Untersucht wird, wie beide Akteursgruppen mit Möglichkeiten und Zwängen in der Gestaltung von Zukunft umgehen, die sowohl Stress und Angst auslöst als auch Chancen verspricht.
- Doktorandin: Friederike Eichner
- Betreuerin: Ursula Rao
Heilung zwischen Biomedizin und Religion in einem christlichen Gesundheitszentrum in Niger
Dieses Dissertationsprojekt ist eine Krankenhausethnographie eines christlichen Gesundheitszentrums in Niger und trägt zu Debatten über die Rolle von FBOs (faith-based organizations) für Gesundheitsversorgung im Globalen Süden bei. Das Projekt untersucht, welchen Entwurf von Heilung das Gesundheitszentrum für PatientInnen unterbreitet und wie Glaube und glaubensbezogenes Handeln in diesen Heilungsentwurf impliziert sind. Die Studie soll aufzeigen: (1) wie im CSLF ‚Heilung‘ aus der Verschränkung von Biomedizin und Religion konzipiert wird, (2) wie das Gesundheitszentrum organisiert ist, um diese Konzeption von Heilung umzusetzen, (3) wie der Heilungsentwurf PatientInnen mit christlichen Ideen bekannt macht und in christliche Praktiken einbindet, (4) welche Dynamiken zwischen dem Heilungsentwurf des Gesundheitszentrums und Gegenentwürfen von PatientInnen entstehen. Das Projekt stützt sich auf Konzepte und Theorien der Medizin- und Religionsethnologie, um zu einem vertieften Verständnis der Besonderheiten christlicher Gesundheitsversorgung zu gelangen.
- Doktorandin: Damaris Martin
- Betreuerin: Ursula Rao
Kontrolle! Körpererfahrung im Rahmen von rassistischen Bewegungen
In Deutschland ist Racial Profiling in allen Lebensbereichen gegenwärtig, aber diese Realität wird häufig verworfen, weil das Konzept von „Rasse“ eine schwierige Geschichte in diesem Land hat und keine Daten zu Rassendiskriminierung nach ethnischen Gruppen existieren. Wie ist es dann möglich, von diesen stillen Rändern zu sprechen und in einer Gesellschaft zu leben, die die gelebte Erfahrung von nichtweißen Menschen systematisch marginalisiert? Welche Auswirkungen hat das? Dieses Forschungsprojekt untersucht die verkörperten und emotionalen Folgen des Lebens mit rassischem Trauma durch die Anerkennung des Körpers als Archiv. Es arbeitet in der schwarzen Berliner Community und versucht zu verstehen, wie Raum „rassifiziert“ wird und welcher Rolle dem Visuellen in der Formation der „rassischen Imagination“ zukommt, einer Imagination mit der materiellen Folge von Kriminalisierung des schwarzen Körpers. Es untersucht außerdem, wie Technologie innerhalb dieser Erfahrungen als mobilisierender, schützender, unterdrückender und einflussreicher Agent auftritt.
- Doktorandin: Melody Howse
- Betreuerin: Ursula Rao
Journalistische Praktiken: Das Entstehen öffentlich-rechtlicher Medien und die Transformation politischer Nachrichten in Ecuador
Dieses Projekt greift gegenwärtige Debatten in der Medienethnologie auf und untersucht die Veränderungen journalistischer Praktiken im Kontext des Entstehens öffentlich-rechtlicher Medien in Ecuador, einem Land mit langer Tradition eines privaten Medienmarktes. Die Studie beobachtet die Veränderung der Praxis von Journalisten und ihrer Beziehungen zum politischen Feld aus ethnologischer Perspektive und fragt, wie Journalisten institutionelle Transformationen verkörpern, verhandeln, verhindern und produzieren. Die Forschung leistet damit einen Beitrag zu aktuellen wissenschaftlichen und politischen Debatten. Sie wird zu ethnologischen Debatten über die Produktion von Nachrichten durch ein vertieftes Verständnis der Erfahrungen von Journalisten, der Konstruktion ihrer Subjektivitäten und ihrer Entscheidungsprozesse beitragen. Das Projekt zielt außerdem darauf ab, neue Einsichten in politische Diskussionen über die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit und die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien und marktorientierten Medien in der Demokratie zu bieten.
- Doktorandin: Karen Silva Torres
- Betreuerin: Ursula Rao
Heterogene Räume der Verehrung: Santa Muerte in Los Angeles
Das Ziel dieses Forschungsprojekts ist es, die Aushandlung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten pluraler religiöser Praktiken und Narrative in einem komplexen urbanen Feld zu untersuchen. Im Fokus der ethnographischen Studie steht die Verehrung der kontroversen Volksheiligen Santa Muerte in Los Angeles im Spiegel politischer, ökonomischer und religiöser Spannungsfelder. Das Disserationsprojekt widmet sich damit den Wechselwirkungen zwischen dynamischen religiösen Praktiken, sozialen Verräumlichungsprozessen und den lokalen wie auch translokalen Verflechtungen von Migrantengemeinschaften. Aufgrund des umstrittenen Rufs der Volksheiligen und ihrer Anhängerinnen und Anhänger, sowie der zunehmenden Bedeutung migrationsfeindlicher Diskurse in den USA, wird das Projekt einen Beitrag zu aktuellen akademischen wie auch politischen Debatten leisten.
- Doktorand: Christoph Graf
- Betreuerin: Ursula Rao
Jedes Dorf ist angeschlossen: Digitalisierung und Neuverräumlichung des indischen Nationalstaates
Indien hat im letzten Jahrzehnt einen sprunghaften Anstieg von Informationstechnologien und digitalen Dienstleistungen erlebt, wobei ein wesentlicher Fokus darauf lag, diese Technologien an ländliche und abgelegene Standorte zu bringen. Das Forschungsprojekt verfolgt einen ethnologischen Ansatz, um Anbieter digitaler Dienstleistungen zu untersuchen, die im ländlichen Indien unter der Ägide von „Digital India“ tätig sind, einem groß angelegten und ambitionierten Digitalisierungsprojekt, das Interaktionen von Staat und Bürgern „neuverkabelt“. In der Forschung wird eine akteurszentrierte Perspektive eingenommen, um zu verstehen, wer diese Digitalisierungsprojekte vorantreibt, was an diesen Zugangsstellen geschieht und wie die Beziehungen zwischen Staat und Bürgern neu imaginiert und verhandelt werden. Digitalisierungsprojekte schaffen neue Räume des Handelns und der Machtasymmetrien, indem sie die Bewegung von Daten gegenüber der von Personen, Papieren and Verhandlungsmöglichkeiten privilegieren. Datenbanken, Regierungsportale und webbasierte Formulare sind rasant zum Gesicht des gegenwärtigen indischen Staates geworden. Die Forschung bietet daher eine zeitnahe Betrachtung der Effekte einer zunehmend allgegenwärtigen technokratisch-unternehmerischen Weise von Entwicklung.
- Doktorandin: Sri Balasubramanian
- Betreuerin: Ursula Rao
Von Nord-Süd zu Ost-West: Relikte des Kalten Krieges in der globalen vietnamesischen Diaspora
Dieses Projekt untersucht die vietnamesische Diaspora in Osteuropa, die eine der größten Gruppen von Migranten in Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik und Russland darstellt. Wissenschaftliche Studien zu diesen Gemeinschaften sind kaum vorhanden und konzentrieren sich auf Integration und Anpassung der Migranten an die Mehrheitsgesellschaften. Ausgehend von einer Multi-Sited Ethnography in Moskau und Berlin und unter Bezugnahme auf theoretische Konzepte wie Transnationalismus, transnationale soziale Felder und transnationale soziale Räume will diese Studie nachvollziehen, wie komplexe Prozesse der Verräumlichung, transnationale ökonomische Strategien und transnationales Familienleben die Formierung vietnamesischer Migrantengemeinschaften in Osteuropa, ihre Positionierung in der globalen vietnamesischen Diaspora und Reimaginationen der Migranten von Osteuropa beeinflussen. Die Studie zielt darauf ab, akademische Diskussionen zu erweitern, die einen westlichen Blick auf die als „staatenlose Diaspora“ konstruierten Bootsflüchtlinge entwickelt haben, indem der Fokus weg von Ost-West Narrativen und Abwanderung von Menschen aus früheren Ländern der Sowjetunion hin zu vietnamesischen Migranten in Osteuropa gelenkt wird.
- Doktorandin: Jessica Steinman
- Betreuerin: Ursula Rao
Miteinander und Widerstand: Eine Multispecies-Ethnographie indischer Bio-Teeplantagen
Diese Dissertation untersucht die ökologische Landwirtschaft auf indischen Teeplantagen und basiert auf sechsmonatiger Feldforschung auf drei Plantagen in verschiedenen Teeanbaugebieten (im Dibrugarh-Distrikt von Assam, in der Darjeeling-Region in Westbengalen und in den Nilgiri-Bergen in Tamil Nadu). An der Schnittstelle zwischen ökologischen und sozialen Fragen zeigt die Forschung, wie Bio-Teeplantagen alternative Anbautechniken als zentrale Elemente in industrielle Produktionsabläufe einbinden. Darüber hinaus beschreibt sie, wie sowohl ArbeiterInnen und AufseherInnen als auch nichtmenschliche Lebewesen gegen das ökologische „Miteinander“, welches das Plantagemanagement kultivieren will, Widerstand leisten. Kernargument der Dissertation ist, dass Bio-Pflanzer (Plantagenbesitzer) und -Berater die Interaktionen zwischen Teepflanzen und anderen nichtmenschlichen Arten gezielt einsetzen, um Teepflanzen produktiver wachsen zu lassen. Sie weisen ArbeiterInnen und Aufseher an, Insekten, Pilze, Bodenbakterien, Kühe und Wildpflanzen strategisch in die tägliche Arbeit einzubeziehen und ökologische Zusammenhänge für die Teeproduktion nutzbar zu machen. Während andere Studien Plantagen vor allem als „ökologische Vereinfachungen“ beschreiben (Tsing et al 2019: 186), wollen Pflanzer auf Bio-Teeplantagen ökologische Vielfalt nicht grundsätzlich ausschließen, sondern vielmehr gezielt beeinflussen. ArbeiterInnen und Aufseher sollen vielfältige ökologische Beziehungen kultivieren, um landwirtschaftliche Monokulturen zu optimieren. Die Ethnographie arbeitet zwei zentrale Aspekte dieses Miteinanders heraus: Erstens wird betont, dass die Zusammenarbeit mit nichtmenschlichen Lebewesen mit menschlichen Ungleichheiten einhergehen kann. Das Miteinander verschiedener Arten beruht zumeist auf prekärer Arbeit, wie sie auf indischen Teeplantagen seit der Kolonialzeit vorherrscht. Zweitens wird gezeigt, wie der Widerstand von ArbeiterInnen und Aufsehern gegen ihre Arbeitsbedingungen das produktive Miteinander anderer Spezies verändert. Bisweilen protestieren ArbeiterInnen und Aufseher offen gegen ihre prekäre Situation, so auch während des Generalstreiks in Darjeeling im Jahr 2017, in dessen Folge ganze Plantagen brachlagen und verwilderten. Für gewöhnlich jedoch verhandeln ArbeiterInnen und Aufseher ihre Arbeitsbedingungen weniger offensiv, sie leisten „alltäglichen Widerstand“ (Scott 1985). Die Kombination von Plantagenstudien und Studien zu alternativer Landwirtschaft erweitert das Repertoire der Multispecies-Forschung und zeigt ihr kritisches Potential.
- Doktorandin: Desirée Kumpf
- Betreuerin: Ursula Rao