Das gestiegene Interesse an den Themen Umwelt, Ökologie und Ressourcen öffnet neue politische Handlungsfelder, aber damit auch neues Aushandeln darüber, was einen ökologisch bessere Welt ausmacht. Mit dieser Vorlesungsreihe nehmen wir umkämpfte Ökologie in den Blick und fragen, welche neuen Formationen politischen Handelns, aber auch Nichthandelns erwachsen. Unsere Referentinnen und Referenten befassen sich mit Ressourcenabbau, Toxizität, ökologischen Kosmologien und vielem mehr.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Mine de Perkoa Burkina
Mine de Perkoa Burkina. Foto: Wikimedia Commons

Die Vorlesungen finden immer Montags von 17.15 Uhr bis 18:45 Uhr in Hörsaal 10 (HSG) statt. Alle Vorlesungen finden auf Englisch statt! 

Die Vorlesungsreihe wurde von dem Institut für Ethnologie und dem Institut für Afrikastudien gemeinsam organisiert.

Programm

Wie eine neue Nachfrage nach Mineralien die Zukunft von Bergbauregionen in Westafrika und Europa formt

Die steigende Nachfrage nach Mineralien, welche als "kritisch" für eine zukünftige "grüne" Energiesicherheit und die Digitalisierung erachtet wird, hat gleichermaßen beträchtliche zeitliche wie auch räumliche Auswirkungen auf die Ursprünge der Mineralienversorgung. Hier haben globale Überlegungen zu Nachhaltigkeit einerseits das Potenzial, neue Grenzen innerhalb und zwischen alten und neuen Abbaugebieten über Regionen- wie auch Kontinente hinweg zu schaffen und zu verschieben. Andererseits haben dringliche Rufe nach einer globalen Nachhaltigkeitstransformation, wie auch spezifische geopolitische Konstellationen zu „einer neuen Dimension des zeitlichen Drucks auf die Ressourcenentwicklung geführt". Am Fallbeispiel ehemaliger, aktueller und zukünftiger Bergbauregionen in Westeuropa (Deutschland) und Westafrika (Burkina Faso) beleuchtet der Vortrag sich entwickelnde Formierungen politischen (Nicht-)Handelns im Kontext der Informed Consultation and Participation (ICP).  Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Frage, wie die Handlungsfähigkeit lokaler Gemeinschaften im Rahmen der Konzessionsvergabe durch die bestehende Bergbaugesetzgebung wie auch durch diskursive Strategien, die von privatwirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen eingesetzt und genutzt  werden, um eine Beschleunigung hinsichtlich der Prozesse der Projekt- und Minengenehmigung zu fördern bzw. zu hindern, geprägt ist.

Von Diana Ayeh, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ, Leipzig

THINK GLOBAL BLOCK LOCAL. Erfahrungen von Umweltaktivist*inne mit Wissenschaft und Gesellschaft

Diese Sitzung findet im Rahmen der Public Climate School (PCS) 2023 der Universität Leipzig statt. Wie die Formulierung von Ende Gelände bereits im Titel THINK GLOBAL BLOCK LOCAL andeutet, muss sich Umweltaktivismus, der sich auf eine planetare Klimakrise richtet, in spezifischen Handlungsgfeldern manifest werden, um Wirkung zu entfalten. Wo diese liegen sollen, welche Maßnahmen zu ergreifen- und welche Auswirkungen zu erwarten sind, ist von Unsicherheiten und Debatten begleitet, die es durch die Aktivist*innen bei der Auseinandersetzung mit den dringlichen Themen zu bewältigen gilt. Wir treten in einen Dialog mit Aktivist*innen aus dem Globalen Süden und aus dem Globalen Norden, die an Aktionen des zivilen Ungehorsams beteiligt sind und die über ihre Erfahrungen berichten werden. Wir diskutieren mit ihnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer jeweiligen Situationen und werden insbesondere auch darüber sprechen, wie sie das Verhältnis ihres Aktivismus zu wissenschaftlichen Studien und akademischen Institutionen wahrnehmen und einschätzen.

Von Students for Future, Universität Leipzig, im Dialog mit Aktivist:innen vom Globalen Süden und Globalen Norden.

Umkämpfte Landschaften: Gespenster der kolonialen Eisenbahn in Tansania

Eisenbahnlinien waren die Seelen des Imperiums und seiner Kolonialwirtschaft. Während sie ökonomischen Aufstieg in den Industrieländern brachte, sorgte die Eisenbahn in den Kolonien für politische, sozioökonomische und ökologische Verwicklungen. Die Eisenbahn sorgte für eine "kontaminierte Diversität", bei der humans und more-than-humans von einem Gebiet zum anderen reisten, um "fremde" Ökologien zu schaffen. Sie beschleunigte die Ausbeutung von Ressourcen, nutzte (erzwungene und billige) Arbeitskräfte, dezimierte die natürlichen Ressourcen (Land, Wälder, Mineralien) und prägte sogleich die Ökologien in den Kolonien und Metropolen. Die Eisenbahn beschleunigte die globale Überhitzung, und als schließlich das koloniale Projekt endete, verfiel sie. In diesem Beitrag frage ich:  Welche Praktiken von worldmaking können anhand der Ruinen der kolonialen Eisenbahn beobachtet werden? Welche Handlungsmacht hatte/ hat die Eisenbahn bei der Entstehung und Wiederherstellung von "Geister"-Ökologien?

Von Samwel Moses Ntapanta, Senior Research Associate, am Lehrstuhl für Sozial- und Kulturanthropologie mit Schwerpunkt Afrika, Universität Bayreuth

Freiheit und Beklommenheit: Die Arbeit in Südindiens giftigen Gewässern

Meine Forschung konzentriert sich auf das Alltagsleben und den Lebensunterhalt derer, die in der Nähe von staatlichen Kohlekraftwerken in Ennore leben - ein Vorort der Küstenhalbinsel nördlich von Chennai (Tamil Nadu, Indien) - und konzeptualisiert ihre körperliche Beteiligung, ihre Arbeit und ihren Protest angesichts zahlreicher giftiger Substanzen, die die Landschaft verseuchten. Im Rahmen der Vortragsreihe "Contested Ecologies" werde ich meine Forschungen über die Arbeit von Fischern vorstellen, welche in der Nähe der Kraftwerke von Ennore Fischfang betrieben, und beschreiben, auf welche Weise die giftige Kohle in ihre Körper und Umgebung eindrang. Ich zeige, dass die stetige körperliche Begegnung mit kohle-basierten Giftstoffen bei den Fischern, wenn sie in diesen verschmutzten Gewässern fischten, jedes Mal ein beklemmendes Gefühl auslöste. Zum Einen war die Arbeit mit dem Gift dabei zu einer Notwendigkeit geworden, mit der sie ihre Identität als männliche Fischer bestätigten, zum Anderen beschleunigte die Interaktion mit dem Gift ihre Vorstellung, dass sie rasch mit ihrer Landschaft zerfallen würden. Hier möchte ich besonders auf das Unbehagen fokussieren, in der arbeitende Körper das Toxische vermitteln, herausfordern und in sich aufnehmen, um zu beschreiben und zu diskutieren, was als „contested“ konzeptualisiert werden könnte.

Von Rishabh Raghavan, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MPI Halle

Wissenschaftliche Studien als Instrument für und zugleich gegen den kommunalen Widerstand in Bezug auf die Verschmutzung durch den Goldbergbau im Nordsudan

Der Goldabbau in den Wüstengebieten des Nordsudan hat eine lange Geschichte, wobei der neuerlich verstärkte Einsatz von Quecksilber und Zyanid diesen Abbau zu einem der größten Umweltverschmutzer im heutigen Sudan gemacht hat. In den angrenzenden Siedlungen entlang des Nils ist diese Verschmutzung allgegenwärtig: in Luft, Wasser, Boden Sedimenten. Zugleich profitieren nicht nur die Unternehmen und die Wanderbergleute, sondern auch ein Teil der Bewohner dieser Gebiete wirtschaftlich vom Abbau - oder hoffen zumindest, dies zu tun. Diese Verkettung komplexer chemischer Belastung und vielfältiger wirtschaftlicher Auswirkungen macht den Bergbau hier auch zu einer Arena für wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse bezüglich dessen Umweltauswirkungen. Ich werde in diesem Beitrag über meine eigenen Erfahrungen als Umweltforscher und -aktivist aus einem der betroffenen Gebiete berichten, wie auch über die Positionierung anderer Wissenschaftler*innen in diesem Feld, von denen einige von lukrativen Beraterverträgen profitieren, andere sich Umweltschutzinitiativen anschließen und wieder andere irgendwo dazwischen zu verorten sind.

Von Mohamed Salah, Center for Environmental and Social Studies Sudan, Université Paris 1 Panthéon Sorbonne

Song of the Chili Mother: Verwandschaft und Kosmopoesie mit Uitoto Desplazadas

Was bedeutet es für Menschen, die sich selbst als aus Pflanzen bestehend-, von ihnen beseelt- und mit ihnen verwandt verstehen, an einem Ort zu leben, an dem diese Pflanzen fehlen, leblos oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind? Was bedeutet es, an einem Ort zu leben, an dem die eigenen Verwandten nicht leben können und wo die essentiellen Grundlagen für ein gutes Leben nicht verfügbar sind? Was bedeutet es, ein Projekt der Kosmopoesie fortzusetzen - eine worldmaking Praxis -, selbst wenn diese Welt immer schneller aus den Angeln gerät? Die Uitoto Praxis bietet hier, inmitten und infolge von Vertreibung und Umweltzerstörung, einen Raum, der es uns ermöglicht, über die Ethik der Pflege des Lebens nachdenken zu können, auf das wir angewiesen sind, selbst wenn dies uns nicht mehr erhalten kann. Amy Leia McLachlan ist Kulturanthropologin und erforscht in ihrer Arbeit die Ethik, die Politik und das transformative Potenzial von Beziehungen mit- und durch Pflanzenwelten. In ihrem Vortrag wird sie Arbeiten aus einem aktuellen Buchprojekt vorstellen: The World for Now.

Von Amy Leia McLachlan, Forschungsmitglied, Field Museum, Keller Science Action Center

Bitte beachten Sie, dass diese Vorlesung online stattfindet! Zoom link: https://uni-leipzig.zoom.us/j/61009951848?pwd=MkpsZTRMRUNzZ2RRK1lJcWNBclliUT09

Ever Slow Green

Vor 50 Jahren wurde ein einzigartiges Projekt zur Aufforstung auf einem erodierten Wüstenplateau in Tamil Nadu (Südindien) ins Leben gerufen. Hier kamen Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen, um die internationale Versuchsstadt Auroville zu gründen. Während dabei die ersten Bewohner*innen zunächst vom Idealismus und von der Notwendigkeit geleitet waren, die widrigen Bedingungen lebenswerter zu machen, gewannen sie im Verlauf dessen Fachkenntnisse hinsichtlich der Kultivierung des Tropical Dry Evergreen Forest, einer in der Küstenregion von Tamil Nadu heimischen seltenen Waldart. Heute stellt der üppige Wald von Auroville ein herausragendes Exempel für die ökologische Wiederherstellung eines vom Aussterben bedrohten tropischen Waldtyps und dessen Erhaltung dar. Ever Slow Green erzählt die Geschichte eben dieses Waldes anhand der verschiedenen Persönlichkeiten, die ihr Leben der Verwirklichung des Waldes von Auroville widmeten.

Von Lesley Branagan, Unabhängige Filmemacherin & Postdoc-Forscherin, Universität Hamburg

Den Trailer zum Film finden Sie hier!

Öl und postrevolutionäre Politik in Timor-Leste

In den Jahren nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Timor-Lestes von Indonesien wurde das Land vom "Ölfieber" erfasst - eine ansteckende Begeisterung über die Aussicht, dass der Ölreichtum eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation ermöglichen würde. Zu jener Zeit begann die Regierung von Timor-Leste mit der Planung eines großen Ölerschließungsprojekts, mit dem die dünn besiedelte Südküste in eine futuristische, hochmoderne, staatlich geführte Öl- und Gasinfrastruktur verwandelt werden sollte. Kritiker argumentierten, das Projekt sei wirtschaftlich und technisch nicht tragfähig und würde sich nachteilig auf die lokalen Bewohner*innen auswirken. Um betroffenen Gemeinden schließlich davon zu überzeugen, große Landabschnitte für das Projekt aufzugeben, mobilisierten einige Politiker*innen und Vertreter*innen des Ölkonzerns die spirituellen Kräfte des Landes und bedienten sich hier traditioneller, mit rituellen Autoritäten verbundener Praktiken. Ihre Fähigkeit, die "Natur" zu regulieren, wurde als Zeichen ihrer Legitimität zur Durchführung dieses Großprojektes gesehen.

Von Judith Bovensiepen, Dozentin für Sozialanthropologie, Universität von Kent

Shifty Grains: Auf dem Weg zu einer Ethnographie des Küstensandes

Angesichts des steigenden Meeresspiegels und der rasanten Bodenbesiedlung entlang städtischer Küsten nimmt die Bedeutung von Sand zur Küstenbefestigung zu  - die Bauindustrie und Bauunternehmer*innen verlangen nach Sand (Torres et al., 2017), um "widerstandsfähige" Städte zu bauen und das Tempo des Städtewachstums zu erhalten, während wiederum Küstengemeinden ihn zum Schutz von Land und Siedlungen vor dem steigenden Meeresspiegel benötigen. Oftmals verschärft dabei die Gewinnung von Sand durch Abbau die Zerstörung der Küsten und das menschliche Leid, indem sie etwa Fischgründe zerstört- und die Erosion beschleunigt werden. Im Zeitalter der raschen Urbanisierung kommt dem Sand daher eine nie dagewesene kulturelle und politische Bedeutung zu. Die Forschungsgruppe SAND  - Die Zukunft der Küstenstädte im Indischen Ozean untersucht die Poetik und Politik der Küsteninfrastruktur, um zu theoretisieren, welche aktive und sogar richtungsweisende Bedeutung Materialien wie Sand bei der Gestaltung des städtischen Umwelt zukommt.

Von Javed Kaisar, Teresa Cremer, Tarini Monga, Lukas Ley, Forschungsgruppe SAND