Unser Institut bietet die Möglichkeit, sich in Ethnologie zu habilitieren und unterstützt das Schreiben von Monographien und hochkarätigen Zeitschriftenartikeln. Die laufenden Post-Doc Projekte vereint ein spezifisches Interesse an aktuellen Themen und zukunftsorientierter Planung.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Ein Mann läuft an einer Kuh vorbei.
Blick Richtung Nil, Omdurman 2016, Foto: Stefanie Mauksch

Laufende Projekte am Institut untersuchen drängende Themen wie Klimadebatten, Landrechte und ökonomische (Un)Gleichheit. Die Projekte verbindet ein ethnologisches Interesse am Alltäglichen, sowie eine Sensibilität für das Erleben von Krisen und Gefühlen von Hoffnung, die sozialen Aktivismus, politische Interventionen und ökonomisches Handeln der Gegenwart motivieren und ihnen zugrunde liegen.

Lasst uns Entrepreneure schaffen! Startup-Welten im urbanen Sudan (der 2010er Jahre)

Wie wird der „Entrepreneur“ in einem Land mit enormen wirtschaftlichen Herausforderungen hervorgebracht und bejubelt? Was erzeugt dieses Zelebrieren des Entrepreneurs über das Gründen von Unternehmen hinaus? Das Buchprojekt begleitet Lesende in eine Zeit im Sudan vor der Revolution und dem Krieg - als eine Gruppe von Hochschulabsolvent:innen, Unternehmern und Entwicklungshelfer:innen begann, eine nationale Startup-Bewegung aufzubauen. Es dokumentiert die Entstehung einer unternehmerischen Fernsehshow, Training Programmen und Co-Working-Hubs in der Hauptstadt Khartum, und porträtiert junge Menschen, die den Weg des Unternehmertums einschlugen und wieder verließen.

Auf Basis einer elfmonatigen Feldforschung zeigt das Buch, wie diese pulsierende neue Startup-Welt weder Arbeitsplätze noch Wirtschaftswachstum geschaffen hat, aber es der städtischen, arbeitssuchenden Jugend ermöglichte, mit Unternehmertum als Möglichkeit zu leben, und auf neue Weisen zu fantasieren und zu experimentieren. Neue Arenen des unternehmerischen Engagements schufen in der Zeit wertvolle Räume, sich in Berufen zu imaginieren, neue Formen der Gemeinschaft zu entwickeln, Sozialkritik zu üben, Vertrauen in die eigene Generation zu schöpfen und neue Experimentierfelder für eine bessere Zukunft zu erschließen.

Ansprechpartnerin: Stefanie Mauksch

Grüne Zukünfte, rassifizierte Schäden? „Grünes“ Lithium und kulturell-territoriale Rechte

Dieses Projekt befasst sich mit einem neuen Fall von Lithiumabbau in Brasilien, der zu Spannungen mit dem Rahmen kulturspezifischer territorialer Rechte führt. Das Jequitinhonha-Tal ist eine Region im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, in der viele Kleinbauern- und Kleinstbauerngemeinschaften sowie indigene und Quilombola-Gemeinschaften leben, von denen viele auf die offizielle staatliche Anerkennung ihrer in der brasilianischen Verfassung von 1988 verankerten besonderen kulturell-territorialen Rechte plädiert haben. Im August 2023 nahm der Gouverneur des Bundesstaates Minas Gerais an einer globalen Finanzmesse in New York City teil, um für das Jequitinhonha-Tal als Brasiliens „Lithium-Tal“ zu werben - eine Marketingstrategie, die darauf abzielt, ausländische Investoren in diese Region zu locken, die die schlechtesten sozioökonomischen Indikatoren innerhalb des Bundesstaates und nach jüngsten Schätzungen auch die höchste Lithiumkonzentration in Brasilien aufweist. Das erste Abbauprojekt in der Region wird von einem kanadischen Unternehmen betrieben, das sein Projekt als „grünes Lithium“ bezeichnet - ein Modell des Mineralabbaus, das, unterstützt durch verschiedene Industrie- und Folgenabschätzungstechnologien (einschließlich Seismographen), sehr geringe Umweltauswirkungen haben soll. Dennoch behaupten Nachbarn und nahe gelegene Quilombola- und indigene Gemeinden, dass sie die seismischen und anderen ökologischen und sozialen Auswirkungen des begonnenen Abbaus ebenso wahrnehmen wie sie den Verlust ihrer versprochenen, aber noch nicht bestätigten territorialen Rechte fürchten.

Durch die Brille des theoretischen Rahmens von Umweltrassismus und STS wird dieses Projekt die Spannungen und Widersprüche zwischen national vorgeschriebenen kulturell-territorialen Rechten und globalen Lithiumketten analysieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, welche Rolle Technologien bei Strategien der Ökologisierung und der Verringerung von Umweltauswirkungen spielen und wie sie eingesetzt und angefochten werden. Unter Einbeziehung einer eher anthropologischen Reflexionskomponente wird das Projekt auch die Möglichkeiten und Grenzen des multikulturell geprägten rechtlichen Rahmens analysieren, der seit den späten 1980er Jahren den Quilombolas (Gemeinschaften von Nachfahren von versklavten Menschen afrikanischer Wurzeln) und indigenen Gemeinschaften besondere territoriale Rechte gewährt. Dabei wird das Projekt über die Praxis der Anthropologen sowie den Ansatz der Kulturalisierung in Bezug auf das Ziel der Sicherung territorialer Rechte (gerechtfertigt durch die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit) im Kontext globaler extraktivistischer Industrien und der „Energiewende“ bzw. der Energieergänzung nachdenken.

 

Laufzeit: seit 2024

Ansprechperson: Thiago Pinto Barbosa

Abgeschlossene Habilitationsprojekte

Aufforstung, Daten, Zahlungen: Zur Infrastrukturierung von Wäldern im indischen Himalaya

Dieses Projekt untersucht ethnografisch die Produktion und Umwidmung von Waldlandschaften im indischen Himalaya als Ablagerungsstätten für überschüssiges, klimagefährdendes Kohlenstoffdioxid. Durch an mehreren Orten erfolgenden und das Spektrum der involvierten Akteure abdeckenden Erhebungen, wird Klimafinanz als Moment der Infrastrukturierung von Umwelt, der Rekonfiguration von Beziehungen zum Staat und als Lokus geschlechtsspezifischer Arbeit analysiert. So wird erstens gezeigt, dass Wälder selbst als infrastrukturelle Gebilde rekonfiguriert werden, die die Verwahrung von Treibhausgasen sicherstellen sollen, und dass diese entlang dezidierter Dateninfrastrukturen als Materialisierung und Sedimentierung von Treibhausgasen verwaltet werden sollen.

Zweitens untersucht das Projekt jene, mit der Klimafinanz Einzug haltenden bürokratischen Praktiken des Dokumentierens und Evaluierens von Ökosystemdienstleistungen als Moment der Rekonfiguration der Beziehung zum Staat. Dokumente - Listen, Dateien, Zahlenreihen - werden selbst Teil der gemeinsamen Produktion von Erfolg, und werden als solche genutzt, um Zugang zu Entscheidungsträgern und staatlichen Armutsbekämpfungsprogrammen auch unter Dörflern zu sichern, die bislang davon abgeschnitten waren. Damit erweist sich ein neoliberales Projekt des sogenannten marktbasierten Umweltschutzes als Moment der Ausweitung staatlichen Einflusses, sowie des Zugriffes auf ihn.

Die Untersuchung alltagspraktischer Zusammenhänge entlang derartig umgedeuteter Waldstücke wirkt, drittens, auf Sozialgefüge ein. Waldarbeit ist lokal Frauenarbeit, die von Akteuren globaler Klimafinanz angestoßenen Prozesse der Inwertsetzung, Finanzialisierung und Territorialisierung eingezäunter Wälder betreffen also Frauen besonders und rekonfigurieren Weiblichkeit und Frauenarbeit vor dem Hintergrund neoliberaler Prinzipien. Gleichzeitig bringen Arbeit, Praktiken der Quantifizierung und Interaktion mit staatlichen Akteuren neue Formen der Vergesellschaftung und Verräumlichung hervor.

Dieses Habilitationsprojekt ist finanziert im Rahmen des DFG-geförderten SFB 1199 'Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen'.

Ansprechpartner: Arne Harms

Forensische Anthropologie in verschiedenen kulturellen Kontexten: Massengrab-Exhumierungen in Folge von Gewalt in Peru und Somaliland

Forensische Anthropologie ist eine junge Wissenschaft, die Aspekte der Rechtsmedizin, Archäologie, physikalischen Anthropologie und Kultur- / Sozialanthropologie kombiniert. Ziel ist es, die genauen Umstände des Todes im Zusammenhang mit der Untersuchung früherer krimineller oder menschenrechtsverletzender Handlungen zu beleuchten. Wie jede Untersuchung der gewalttätigen Vergangenheit findet die forensisch-anthropologische Arbeit normalerweise in einem politischen und emotionalen „Minenfeld“ statt. Sie berührt umstrittene Erinnerungen auf individueller und kollektiver Ebene und ist mit konkurrierenden „Wahrheitsansprüchen“ verbunden. Forensische Anthropologie wird von einigen als Bedrohung, von anderen als Rettung wahrgenommen. Die Selbstwahrnehmung vieler forensischer Anthropologen ist, dass sie "neutrale" Wissenschaftler sind, die "Fakten" liefern. Gleichzeitig denken viele, dass ihre Arbeit den „Opfern“ bzw. den Angehörigen der „Opfer“ hilft. Forensische Anthropologen wollen die "Wahrheit" über einen Todesfall herausfinden und auf diese Weise den überlebenden Verwandten einen mentalen „Abschluss“ ermöglichen.

Diese Forschung zielt auf eine eingehende ethnografische Untersuchung der forensischen Anthropologie ab. Der Schwerpunkt liegt auf der Arbeit einer bestimmten Organisation namens Equipio Peruano de Anthropologia Forense (EPAF). Einerseits arbeitet EPAF als lokale NGO in Peru und erbringt Dienstleistungen für staatliche Behörden sowie für Zivilisten, die ihre Verwandten suchen (die im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen dem Staat und dem „leuchtenden Pfad“ im Hochland von Peru in den 1980er Jahren getötet wurden). Andererseits fungiert EPAF als internationale NGO, die Staaten und/oder Menschenrechtsorganisationen unterstützt. In diesem Zusammenhang startete EPAF ein langfristiges Projekt in Somaliland, einer sezessionistischen Republik im Nordwesten Somalias (die seit 1991 besteht, aber immer noch keine internationale Anerkennung findet). Auch hier herrschte in den 1980er Jahren Bürgerkrieg und tausende Menschen wurden getötet und anonym in Massengräbern verscharrt. Peru und Somaliland sind die beiden Hauptstandorte forensischer Untersuchungen der EPAF. An beiden Orten organisiert die EPAF „Feldschulen“ hauptsächlich für internationale Studenten, die eine praktische Ausbildung in forensischer Anthropologie und im Umgang mit den Folgen von Gewalt (einschließlich transitional justice) erhalten wollen.

Zentrale Fragen der Forschung sind: Wie funktionieren die besonderen Kenntnisse und Praktiken der forensischen Anthropologie in verschiedenen kulturellen Kontexten? Wie beeinflussen kulturspezifische Ansichten über den Tod und das Jenseits die forensische Arbeit? Welche Interessen haben die verschiedenen an Exhumierungen beteiligten Akteure (z. B. Forensiker, Staatsbeamte, Angehörige der Opfer)? Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die forensische Anthropologie, insbesondere im Zusammenhang mit menschenrechtsbezogener Arbeit (was sowohl in Peru als auch in Somaliland häufig der Fall ist), Teil des seit den 1980er Jahren unter anderem durch die Einrichtung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, Sondergerichten und des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) entstandenen „global accountability regimes“ ist. Eine weitere Reihe von Fragen bezieht sich daher auf lokal-globale und transnationale Dynamiken im Umgang mit der gewalttätigen Vergangenheit an bestimmten Orten im Sinne einer „Lokalisierung der Übergangsgerechtigkeit (localization of transitional justice)“.

Ansprechpartner: Markus Höhne

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